Allein auf dem Coast to Coast Walk - Trailtagebuch Teil 2

Am 26. Mai startete ich meine Wanderung auf dem Coast to Coast Walk in Nordengland. Der Weg führt über knapp 300 km von der Nordseeküste bis zur Küste der Irischen See. Eigentlich geht es in die andere Richtung, aber ich bin bewusst "rückwärts" gelaufen, um den großen Reisegruppen aus dem Weg zu gehen. Nach den ersten 170 km war ich gesundheitlich angeschlagen. Trotz einer längeren Pause in Kirkby Stephen wurde der letzte Abschnitt im Lake District zu einer echten Herausforderung, die mich an meine Grenzen bringen sollte.

Tag 9 - 31 km - Kirkby Stephen - Shap

Nach dem ich auf dem Gipfel der Standard Riggs gesundheitlich ziemlich am Ende war, habe ich mir zwei Tage Ruhe in Kirkby Stephen gegönnt. Zu hundert Prozent war ich immer noch nicht fit, aber die kommende Etappe war ziemlich Flach, also Versuchte ich mein Glück und machte mich auf den Weg in Richtung Shap.
Auch wenn der Weg an sich nicht anspruchsvoll war, war der Tag trotzdem ziemlich gnadenlos. Keine Wolke am Himmel, kein Schatten, nur Sonne. Hört sich vielleicht an wie eine Tour durch die Sahara, waren aber nur die Yorkshire Dales bei maximal 23°c. Den ganzen Tag fühlte ich mich kraftlos, kurzatmig und hatte einen permanenten Schweißausbruch. Am Ende des Tages war ich ziemlich dehydriert, habe meinen Fleece Pullover aus Dummheit unterwegs verloren und auch 1,5 Liter Moretti haben mir nicht mehr Zuversicht gegeben, dass mein Gesundheitszustand für das Lake District ausreichend ist. Dafür gab es die erste Runde Fish and Chips und wahrscheinlich der absurdeste Camp Spot der Tour im Hinterhof des Crown Inns.

Tag 10 - 21 km - Shap - Angle Tarn

Am zehnten Tag habe ich endlich das lang ersehnte Lake District erreicht. Mit dem Lake District kommen aber auch die anstrengendsten Teile der Route. Nachdem ich am Vortag noch dachte, dass es mir wieder relativ gut geht, habe ich beim ersten Anstieg schnell gemerkt, dass ich noch lange nicht gesund bin. Im Gegensatz zu mir enttäuschte die Landschaft des Lake Districts nicht und machte seinem Namen alle Ehre. An einem der kleineren Seen, dem Angle Tarn, beschloss ich, die Nacht zu verbringen. Der Tag endete mit einer fantastischen Aussicht und einem kurzen Bad im See.

Tag 11 - 20 km - Angle Tarn - Brownrigg Moss

Tag 11 sollte mein persönlicher Tiefpunkt der C2C Wanderung werden. Eigentlich ging es mir am Morgen gut, die Nacht am Angle Tarn war super und ich begann den Abstieg nach Patterdale. Allerdings standen an diesem Tag auch zwei der vier großen Lake District Anstiege auf dem Programm. Mit knapp 900 Höhenmetern an einem Tag wäre es für mich bei voller Gesundheit zwar immer noch anstrengend, aber definitiv kein Problem gewesen. Der Puls war ständig am Anschlag, ständige Schweißausbrüche dehydrierten mich. Am Abend schleppte ich mich zum Brownrigg Moss, dieser Anstieg hat mich mental endgültig gebrochen. 50 km vor dem Ziel saß ich in meinem Zelt und überlegte, die Wanderung abzubrechen.
Was mich gesundheitlich so fertig gemacht hat, weiß ich bis heute nicht, mein Verdacht im Nachhinein ist, dass ich mir am Flughafen noch Corona eingepackt habe. Was ich weiß ist, dass es keine "einfache" Erkältung war.

Tag 12 - 8 km - Brownrigg Moss - Borrowdale

Der zwölfte Tag begann zum ersten Mal auf dieser Reise mit Regen auf meinem Zelt. Das passte gut zu meiner Stimmung. Die Gipfel des Lake Districts waren in dichten Nebel gehüllt. Im Schneckentempo ging es hinauf zum Lining Crag und von dort hinunter nach Borrowdale. Unten angekommen saß ich vor einem Pub, bis dieser zum Mittagessen öffnete. Inzwischen war der Nebel wieder verschwunden und ich versteckte mich im Schatten vor der für englische Verhältnisse gnadenlosen Mittagssonne. Dort fasste ich den Entschluss, nicht aufzugeben, sondern meinen letzten Puffertag zu nutzen.
Zu nah war das Ziel und zu groß die Hoffnung, dass es mir am nächsten Tag plötzlich besser gehen würde, auch wenn ich diese Hoffnung seit über fünf Tagen vergeblich hatte. Ein Burger zum Mittagessen, ein Burger zum Abendessen, drei Bier und viel Ruhe auf dem Campingplatz waren sicher nicht kontraproduktiv.

Tag 13 - 23 km - Borrowdale - Ennerdale Bridge

Am dreizehnten Tag erfüllte sich diese Hoffnung tatsächlich. Auch wenn ich natürlich nicht plötzlich topfit war, ging es mir doch deutlich besser. Da Borrowdale von Bergen umgeben ist, ging es gleich am Morgen über den letzten großen Anstieg im Lake District, den Honister Pass. Die Landschaft war hier wirklich beeindruckend und ich konnte sie wieder richtig genießen. Ich musste nicht mehr alle 10 Meter stehen bleiben um wieder klar zu kommen und auch wenn ich keine definitiv keine Bestzeit aufgestellt habe, war mir am höchsten Punkt klar dass ich es tatsächlich noch ins Ziel schaffen werde. Der Zeitdruck und die Ungewissheit der letzten Tage fielen von mir ab. Mit neuer Motivation stieg ich zur Black Sail Hütte ab, von wo es über breite Feldwege, immer leicht bergab, nach Ennerdale Bridge ging. Dort fand ich einen kleinen Pub mit Zeltplatz, das “Fox and Hounds”.

Tag 14 - 23 km - Ennerdale Bridge - St. Bees

Und dann kam der letzte Tag. Nachdem ich es die letzten beiden Tage etwas ruhiger angehen ließ, wachte ich diesmal vor Sonnenaufgang auf. Die letzten Kilometer einer Wanderung lösen bei mir immer Euphorie aus. Egal welche Schmerzen ich habe, egal wie müde ich bin, die Vorfreude auf das Ziel lässt die Kilometer besonders leicht fallen. Im Nachhinein kommt es mir so vor, als wäre ich erst gestern in Robin Hoods Bay aufgebrochen, aber gleichzeitig kommt es mir vor, als wäre es schon eine Ewigkeit her, wenn ich an all die Dinge denke, die ich auf dem Coast to Coast Walk erlebt habe. Noch bevor ich irgendjemandem begegnet war, stand ich auf dem Dent. Mit 352m kein beeindruckender Berg, aber trotzdem der schönste Moment der ganzen Wanderung. Vom Gipfel aus konnte ich zum ersten Mal die Irische See sehen. Nach 2 Wochen war das Ziel in Sicht. Der Abstieg von dort fühlte sich nur noch wie eine Ehrenrunde an, bis ich endlich an den Klippen von St. Bees stand. Nach 14 Tagen hatte ich fast 300 km zu Fuß zurückgelegt. Ein Erlebnis, das mir persönlich zu viel bedeutet, um es in Worte zu fassen.

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